August 2021 | P.M. History – 1961: Die Berliner Mauer zerreißt Freundschaften, trennt Geschwister und Liebespaare. Viele Ostberliner stehen vor der Frage: Sollen sie bleiben – oder die Flucht in den Westen wagen? Unser Autor zeichnet die Geschichten zweier Familien nach.

Der 13. August 1961, der Tag, der Weltgeschichte schrieb, begann für Vera Buchal wie jeder andere auch. Die damals 17-jährige junge Frau ist auszubildende Krankenschwester und hat Küchendienst in einem Krankenhaus im Berliner Bezirk Köpenick, als sie ein Patient anspricht. „‚Schwester! Kommen Sie mal rein und machen Sie die Tür hinter sich zu!‘, rief der zu mir“, erinnert sich Vera Buchal. „Und jetzt setzen Sie sich besser hin. Die Grenze ist dicht!“. 

Erfahren hatte er die Neuigkeit aus einem „Westsender“, den er im Radio eingestellt hatte. Schnell kursierten Gerüchte in der Klinik. Nur hinter vorgehaltener Hand wagten die Angestellten zu tuscheln. „Man wusste nicht, wem man vertrauen kann“, erinnert sich Vera Buchal. „Wer zur Stasi gehörte, und wer nicht. Und man hatte ja keine Möglichkeit mehr, sich zu verdrücken, wenn man in Ungnade gefallen war.“

Überall entlang der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin rückten an diesem Tag Polizisten und Soldaten an. Ausgerüstet mit Stacheldrahtrollen, blockierten sie die Grenzübergänge. Noch ahnt niemand, dass die Berliner Mauer die Stadt für 28 Jahre, 2 Monate und 27 Tage teilen wird, Freundschaftsbande kappt und Liebespaare trennt. Und doch winken sich manche Nachbarn schon mit Taschentüchern zum Abschied zu. Das Bild eines 19-jährigen Grenzpolizisten wird zum Symbol der deutschen Teilung. In voller Uniform springt Conrad Schumann über den an diesem Tag noch niedrigen Stacheldraht in den Westen. Wie für ihn stellt sich für viele Ostberliner die Frage: Wie reagieren? Sollten sie die Flucht wagen? Oder wäre es nicht klüger, die Tatsachen zu akzeptieren, wie sie sind, und sich zu arrangieren? (…)

Erschienen im August 2021 in P.M. History 09/2021.