September 2020 | Welt am Sonntag – Ein Schiff voller Fremder: Vor 400 Jahren landete die „Mayflower“ in Amerika. Die Passagiere gründeten die erste englische Kolonie, deren Ideen bis heute die Vereinigten Staaten prägen. Aber wer waren die Siedler und wie überlebten sie? Warum fürchteten sich die fremden Neuankömmlinge und die Ureinwohner voreinander? Besucher können am Originalschauplatz die Konflikte der Zeit nacherleben.

Sarah Warren hat eine beschwerliche Anreise hinter sich: Wie Greta Thunberg im November 2019 ist auch sie mit dem Segelschiff von Europa nach Amerika gefahren. Doch anders als bei der schwedischen Klimaaktivistin ging bei Warren alles schief, was schiefgehen konnte. Beim ersten Versuch, den Atlantik zu überqueren, geriet ihr Schiff, die „Paragon“, in einen schweren Sturm. In beinahe auswegloser Situation sahen sich die Matrosen gezwungen, den Hauptmast zu kappen. „Zum Glück wusste ich da noch nicht, dass Seeleute dies nur machen, wenn sie glauben, dem Schiff drohe der Untergang“, sagt Warren. Erfreulicherweise gelang der „Paragon“ mit letzter Kraft die Rückkehr nach England. Ein weiterer Versuch, dieses Mal auf der „Anne“, glückte, auch wenn bei der Reise von ruhigem Wetter ebenfalls keine Rede sein konnte. „Auf dem Deck wurde ich hin und her geschleudert“, erinnert sich Warren, während sie im Gemüsegarten ihres kleinen Hauses in Plymouth arbeitet.

Zu Flugzeugen weiß Warren nichts zu sagen. Von ihnen hat sie noch nie gehört. Kein Wunder, denn Warrens Reise liegt schon länger zurück – vier Jahrhunderte, um genau zu sein. Warren lebt auf der „Plimoth Plantation“. Sie ist eine von den vielen Schauspielern, die in dem Freilichtmuseum die Rollen historischer Bewohner übernehmen – und die souverän alle Fragen nach Kameras, Handys oder eben Flugzeugen ignorieren. Dafür sprechen sie das heute ungewohnt klingende Englisch der damaligen Zeit. So wie hier bekommt man nur selten das Gefühl, geradezu in eine andere Epoche eintauchen zu können, statt nur einige ihrer Überreste zu beschauen. Sogar Nutztiere wie Ziegen und Hühner hat man zurückgezüchtet, um den Besuchern einen realistischen Eindruck des Lebens im 17. Jahrhundert zu geben. (…)

Erschienen im September 2020 in der Welt am Sonntag print und online.