Oktober 2016 | G/Geschichte – Das industrielle Zeitalter hat unsere innere Uhr verstellt. Der Chronomediziner Horst-Werner Korf erklärt, welche Folgen des für die Gesundheit hat.

G/Geschichte: Mit dem Industriezeitalter haben sich die Arbeitsbedingungen massiv verändert. Besonders in der Frühindustrialisierung waren Arbeitstage von 14, manchmal auch 16 Stunden keine Seltenheit. Was macht das mit dem Körper?

Horst-Werner Korf: Diese Bedingungen waren schon ein schwerer Einschnitt ins Arbeitsleben, vor allem, wenn man betrachtet, an was die Leute gewöhnt waren. Die meisten haben vor der Industrialisierung tagsüber auf dem Feld, also im Freien, gearbeitet. Die innere Uhr war mit der Umwelt meist im Einklang. Wir Chronobiologen bezeichnen dies als „Synchronisation“. Aus chronobiologischer Sicht ist das erst einmal ein anzustrebender Zustand. Mit der Industrialisierung hat sich dann die Arbeitswelt komplett verändert: Die Produktion wurde aus der Natur ins Innere von Gebäuden, in Fabriken, verlagert. Ich war gerade zu Besuch in Manchester und konnte mir dort die alten Baumwollspinnereien anschauen. Von der Arbeitsergonomie her betrachtet waren die Bedingungen dort furchtbar. Die Belüftung beispielsweise war sehr schlecht, auch die Lichtbedingungen waren nicht ausreichend. Licht wurde nur von kleinen Funzeln verbreitet.

G/Geschichte: Mit der Einführung des Gaslichts wurde es dann möglich, die Nacht zum Tag zu machen und auch nachts zu arbeiten. Welche Folgen hatte das?

Horst-Werner Korf: Das Problem der Nachtarbeit ist ja nicht nur ein historisches, auch heute gibt es Schichtarbeit. Von daher werde die Folgen der Nachtarbeit bis in die Gegenwart diskutiert. Grundsätzlich gibt es erst einmal tagaktive und nachtaktive Tiere. Die Primaten und damit auch wir Menschen gehören zu den tagaktiven Tieren, die ihre Ruhephase in der Nacht haben. Wenn Sie das jetzt umdrehen, nachts aktiv sind und tagsüber schlafen, dann kommt auch Ihre innere Uhr komplett aus dem Takt. Es gibt eine Reihe von Forschern, die sagen: Schichtarbeit ist ungesund und führt zu Magen-Darm-Problemen, weil unser Verdauungssystem nachts auf Ruhe eingestellt ist. Einige Wissenschaftler meinen sogar, dass durch Schichtarbeit das Risiko, an Krebs zu erkranken, größer ist. Das hält einer harten wissenschaftlichen Metaanalyse meiner Meinung nach aber nicht stand. Wenn wir die Daten aus der Literatur zusammenfassen, dann gibt es im Moment kein stichhaltiges Indiz dafür, dass Schichtarbeit zu einem vermehrten Tumorwachstum führt. (…)

Erschienen im Oktober 2016 in G/Geschichte 11/2016: Deutschland unter Dampf. Die Industrielle Revolution (€).