Juni 2020 | magazin.hiv – Vor der Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung in Russland kursiert im Internet ein Video, das mit homophoben Darstellungen für diese Änderung wirbt. In diesem Interview erklärt der Arzt und Aktivist Nikolay Lunchenkov die Hintergründe und berichtet, wie der Einsatz für Menschenrechte auch die öffentliche Gesundheitsfürsorge verbessern kann und warum er in Russland auch gesellschaftspolitische Fortschritte erkennt.

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In den vergangenen Tagen sorgte ein homophobes Propaganda-Video aus Russland für einen Skandal. Der Film, der in den sozialen Netzwerken zu sehen ist, spielt im Russland des Jahres 2035. In einem Waisenhaus wird ein Junge von seinen Adoptiveltern abgeholt, zwei Männern. Einer der beiden wird als verweiblichte Figur lächerlich gemacht, das Wohl des Kindes als gefährdet dargestellt, als der Vater dem Jungen ein Kleid schenkt. Eine Mitarbeiterin des Waisenhauses spuckt kommentierend auf den Boden. Die Botschaft ist klar: So soll sich Russland auf keinen Fall entwickeln. Um das zu verhindern, müsse man bei der am 1. Juli anstehenden Volksabstimmung über die Änderung der russischen Verfassung mit Ja stimmen. Einen wirklichen Unterschied macht diese Abstimmung allerdings nicht, denn die neue Verfassung ist bereits in Kraft getreten. Das Gespräch mit dem Arzt und Aktivisten Dr. Nikolay Lunchenkov hatte mit dem Video einen naheliegenden Aufhänger. Wir erreichen den 26-Jährigen, der vom United Nations Population Fund als einer von zehn „jungen Menschen, die die Welt verändern“ ausgezeichnet wurde, in München, wo er derzeit ein weiteres Studium absolviert. Da das Gespräch am Telefon auf Englisch stattfindet, sprechen wir uns mit den Vornamen an – und kommen direkt auf das Propaganda-Video zu sprechen.

Deutsche Aidshilfe: Nikolay, du hast das neue homophobe Propaganda-Video im Netz gesehen. Hat es dich überrascht?

Nikolay Lunchenkov: Nein. Ich frage mich eher, warum die Leute so geschockt reagieren. In Russland kommt es doch immer wieder zu Hassverbrechen und systematischer Diskriminierung. (…)

Erschienen im Juni 2020 im magazin.hiv der Deutschen Aidshilfe.