Mai 2022 | G/Geschichte – Am Ende des 17. Jahrhunderts ist die Donau für Europäer noch ein mysteriöser, wilder Strom. Ein junger italienischer Adeliger wagt das Abenteuer – und wird zum Begründer der Donau-Forschung.

Fast meint man, die Verzweiflung aus den wenigen Zeilen lesen zu können, mit denen Luigi Ferdinando Marsigli seine Lage beschreibt. Der junge italienische Adelige in habsburgischen Diensten hatte sich rund 100 Kilometer südöstlich von Wien in ein Feuchtgebiet am Ufer der Donau gewagt. In unzählige Arme und Kanäle zerfällt der Strom hier, unterbrochen nur von flachen Inseln. „Diese Inseln sind Teile einer Falle oder eines Labyrinths“, warnt Marsigli. „Sie werden beinahe völlig von Sümpfen bedeckt, in denen man sich leicht verirren kann, denn während man den rechten Weg sucht, findet man sich ringsum von Wasser gefangen und man kann ihnen nur unter Einsatz seines Lebens entrinnen.“ Marsigli kommt mit dem Schrecken davon. Doch wenn die Donau schon hier so gefährlich ist, was hat er dann erst in den weiter entfernten Gegenden zu erwarten, die schon lange kein Mitteleuropäer mehr gesehen hat?

Obwohl die Donau mitten durch Europa fließt, ist sie zu Lebzeiten des 1658 geborenen Marsigli für die meisten Westeuropäer ein mysteriöser Strom. Kurz hinter Bratislava begann seit Jahrhunderten das Osmanische Reich. Kaum jemand durfte die Grenze überqueren. (…)

Erschienen in G/Geschichte Porträt Sommer 2022: Die Donau.